Alle Welt redet neuerdings von der Digitalisierung, als wäre es ein absolut neues, uns überraschendes Thema, das uns auf einmal überkommt. Sie wird gerade gehypt, obwohl sie seit mindestens 40 Jahren aktiv Einzug in die Wirtschaft hält. Doch selbst im Projekte im kleinsten Rahmen, können jeden vernünftigen Zeitrahmen überschreiten.

Alle Welt spricht von Digitalisierung und welche gravierenden Veränderungen durch sie erfolgt. Gleichzeitig ist es jedoch so, dass sich in vielen Unternehmen eine gewisse Ignoranz gegenüber dem Thema breit gemacht zu haben scheint. Dabei fällt auf, dass nahezu alle kundenseitig Beteiligten unter Digitalisierung die Einführung einer neuen Software verstehen. Es werden Anforderungskataloge erstellt, welche Funktionen die einzuführende Lösung erfüllen muss, damit ihre Einführung möglichst schmerzfrei erfolgen kann. Zum einen wird nach einer Lösung von der Stange gesucht, deren Einführung möglichst wenig Schmerz bereitet und somit werden bereits von Anfang an Abwehrkräfte aktiviert. Das, was jetzt gut funktioniert – zu mindestens gefühlt –, soll bitte genauso auch digital unterstützt funktionieren. Das ist, bei einem großen Teil der Unternehmen, die Anforderung an die Digitalisierung. Diese Veränderungen haben bereits in der Vergangenheit eine derartige Ablehnung seitens der Betroffenen erfahren, dass noch mehr Veränderung zu einer Ablehnungshaltung führt. Wenn dann noch gewahr wird, dass Digitalisierung noch mehr ist als das, was bislang schon nur mangelhaft funktionierte, dann wird sie zu einer Verweigerung, der digitalen Anorexie, führen.

Leben in der Schattenwelt

Alles, was bislang funktioniert hat, soll plötzlich anders gemacht werden. Natürlich kann das neue System mehr, jedoch gibt es viele Schattenprozesse im Unternehmen, die das Alte unterstützt haben und die, so die Befürchtung aus vorherigen Changes, ebenfalls alle neu erfunden werden müssen. Denn, sind wir ehrlich, wo fristet nicht eine Schatten-IT ihr Dasein, da die Standardlösung, auch wenn sie umfassend angepasst wurde, nicht jeden individuellen Prozess unterstützt. Ich weiß von Unternehmen, deren komplette Handlungsfähigkeit zum Erliegen kommt, wenn Excel und Access nicht mehr eingesetzt werden dürfen. Wenn das berücksichtigt wird, ist es doch vollkommen klar, dass das Verlangen nach einer Änderung verloren geht. Und das betrifft nicht nur die Sachbearbeitung, sondern auch das gesamte Management. Änderung heißt Mehrarbeit, heißt Ressourcenknappheit, heißt keine „Zielerreichung“ und alles in allem wird es am Ende auch nicht belohnt.

Beispiele aus dem wahren Leben

Um das Ganze bildlich zu machen, werde ich an dieser Stelle zwei Beispiele aus dem täglichen Irrsinn, der uns begegnet, darstellen. Und ich gehe davon aus, dass die meisten Leser Szenarien wie diese kennen.

Erstellung einer Teillösung in einem Unternehmen, da das vorhandene Modul eines großen Softwareherstellers leider nicht, zu einem angemessenen Preis-Leistungsverhältnis, an die Anforderungen der Abteilung anzupassen war. Als Lösung agierte eine von Mitarbeitern selbst entwickelte Access-Datenbank. Diese wurde von einem kleinen Teil der Mitarbeiter gepflegt. Andere wiederum bevorzugten lieber ihre eigenen Excel-Tabellen. Das Management suchte nach einer revisionssicheren Lösung, die zudem direkt an das Standardsystem angekoppelt werden konnte. Die Anforderungen wurden von oben, abgeleitet aus der Access-DB, vorgegeben. Individuelle Excel-Lösungen wurden komplett ignoriert, bzw. haben die Mitarbeiter bei Anfragen abgewunken und die Bürotüren geschlossen.

Das Ergebnis: Die „Einführung“ der neuen Lösung dauerte ca. 4 Jahre, da immer neue Anforderungen nachgetragen wurden. Die eigentliche Entwicklungszeit liegt bei 3 Monaten für die Ursprungsversion und noch einmal 3 Monaten für Anpassungen. Es wurden somit 3,5 Jahre verschenkt, da nicht von vornherein, alle die etwas zur Lösung beitragen konnten, an den Tisch geholt wurden. Ursache war, dass die Verantwortlichen keinen persönlichen Mehrwert darin gesehen haben, die Entwicklung transparent zu gestalten.

Einen ähnlichen Fall erleben wir bei einem anderen Kunden in einem abteilungsübergreifenden Projekt. Genau genommen laufen 95% in einer Abteilung ab, die an der Lösung mitentwickelt hat. Im Ergebnis werden Buchungssätze erzeugt, die auf Korrektheit zu prüfen sind. Eigentlich eine Formalie, da die Schnittstelle etabliert ist und bei korrekten Belegen keine Probleme zu erwarten sind. In erster Linie geht es darum festzustellen, ob alle Konten hinterlegt wurden.

Diese Prüfung wird seit über einem Jahr vor sich her geschoben, auch weil keine Ressourcen freigestellt werden. Die Vertragsabteilung, bei der das Modul implementiert ist, betreibt inzwischen, seit über einem Jahr, doppelte Datenpflege und die immensen Vorteile des neuen Systems, auch für die Finanzbuchhaltung, werden nicht genutzt. An dieser Stelle ist das Management gefordert miteinander zu interagieren (interne Silos aufheben) oder einfach den Mitarbeitern die Kompetenzen zuzugestehen, dass sie sich selber ihr Leben einfacher machen können. Ursprünglich war ein großes Engagement vorhanden, da die Mitarbeiter die Lösung nach ihren Vorstellungen gestalten konnten. Inzwischen besteht eine extreme Verärgerung gegenüber den „Anderen“ und irgendwann auch gegen die Lösung.

Probleme vorzeitig erkennen

Die Frage die sich stellt ist eigentlich selten „Können wir das umsetzen?“, sondern „Wie schaffe ich es, die Geschäftsführung oder das Management davon zu überzeugen, dass Mitarbeiter über die Abteilungsgrenzen hinweg an der Lösung mitarbeiten können?“ Das Denken ist noch immer stark am Bekannten orientiert. Über alle Ebenen der Unternehmen hinweg. Jeder versucht mögliche lange die Aufnahme neuer Nährstoffe auszusitzen. In der Hoffnung, dass es schon wieder weggehen wird, wird eine Appetitlosigkeit aufgebaut.

Alle finden das Thema wichtig und rühmen kleinste Ergebnisse als erfolgreiche Digitalisierungsprojekte. Vor kurzem hat uns ein Unternehmer erzählt, dass er die Digitalisierung vorantreibe und gerade 10.000 EUR in einen neuen Server gesteckt hätte. Also jetzt nicht um etwas Neues zu starten… Nee, war halt notwendig.

Ursache der Verweigerung kann sein, dass die Personen zu viel Negatives erfahren haben, dass wie eine Infektion zu einer automatischen Abwehrhaltung führt. Beliebte Infektionen sind beispielsweise Softwareeinführungen. Es kann jedoch ebenfalls eine Überlastungsreaktion sein, sodass alles was neu ist als schädlich für sich selbst wahrgenommen wird.

Fazit

Wir müssen die Integration der Mitarbeiter als Know-how-Träger schmackhaft machen. Transparenz als Würze für Effizienz bei der Umsetzung, sowie Bereitstellung von Ressourcen als Geschmacksträger für Engagement.

Liebes Management: Eure Mitarbeiter sind erwachsen. Sie wissen was sie tun und sie wissen auch wie sie effizient zu einer Lösung kommen. Zum Wohle des gesamten Unternehmens. Und die Risiken und negativen Nebenwirkungen sind deutlich geringer als bei einer Verweigerung. Es darf jedoch nicht nur wegdelegiert werden, denn das hat nichts mit Übergabe von Verantwortung zu tun. Und zwar über alle Ebenen hinweg. Denn Ignorieren ist keine nachhaltige Strategie.

Fotonachweis

Lukas / Pexels (CC0 Lizenz)

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